Zwischen Schatten und Licht by Melissa Marr
Autor:Melissa Marr
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Carlsen Verlag
veröffentlicht: 2011-04-18T16:00:00+00:00
Achtzehn
Rae schlief nicht richtig, aber sie konnte eine meditative Tiefe erreichen, die ihr sehr viel Energie verlieh. Sie fühlte sich, als schwebte sie in einem grauen Nichts, in dem sie für die Welt unerreichbar war.
»Du!«
Rae konzentrierte sich auf die Höhle, kehrte in den Zustand zurück, in dem sie normalerweise existierte, und starrte die Felswände an, die in den letzten Jahren ihr »Zuhause« gewesen waren. In einer schattigen Nische stand die Königin des Elfenreichs und wartete. Sie hielt einen zerbrochenen Spiegel in der linken Hand. Ãberall um sie herum lagen Scherben auf dem Boden wie Knochen von Gefallenen auf einem verlassenen Schlachtfeld.
»Keiner von denen funktioniert so wie deiner neulich.« Sorcha lieà den Spiegel fallen und sein Glas gesellte sich zu den dort bereits liegenden Scherben. »Du warst in meinem Kopf.«
Wie hat sie mich gefunden?
Rae zuckte zusammen. Dann täuschte sie Behaglichkeit vor, als ruhte sie einfach nur auf einem rechteckigen Felsen auf dem Boden der Höhle. Er war nur eine Illusion, gehörte aber zu den Dingen, die ihr das Gefühl gaben, in der Wachwelt verankert zu sein. Sie blickte Sorcha direkt an. »Ja, das stimmt.«
»Ich habe dir nicht erlaubt, im Elfenreich zu leben. Du hast mich nie um Erlaubnis gebeten.« Sorchas Stimme hob sich am Ende, als sei das eine Frage. Ihr Blick war nicht auf Rae gerichtet, sondern auf etwas hinter ihr Liegendes. Hier war sie nicht so hübsch wie in der Traumwelt. Ihre herrische Art wirkte abstoÃend, ihre Strenge irritierend. Die flammenähnliche Lebendigkeit ihres Traum-Ichs war gedämpft, als würde Rae sie durch eine dicke Glasscheibe sehen.
Rae hätte Mitleid mit ihr gehabt, wäre Sorcha nicht die Königin gewesen, die sie immer gefürchtet hatte, die Elfe, die Devlin zu einem Leben verpflichtete, das nicht zu ihm passte. Ein Wort von ihr reichte, um Devlin sterben zu lassen. Oder Rae. Diese Tatsache machte jedes mögliche Mitleid zunichte.
Sie stand auf und ging tiefer in die Schatten hinein, um mehr Distanz zwischen sich und Sorcha zu bringen, und stellte sich so hin, als lehnte sie an der Höhlenwand. Die Entfernung schützte sie nicht, aber sorgte dafür, dass sie sich in Anwesenheit der Königin des Lichts nicht so verunsichert fühlte.
»Darf ich dich jetzt um die Erlaubnis bitten?«
Sorcha stockte. »Ich bin nicht sicher. Ich weià nicht, ob mir die Leichtigkeit, mit der du in meine Träume hineinspazierst, gefällt. In jedermanns Träume. Das ist schamlos.«
Rae schwieg. Früher, in ihrem sterblichen Leben, war es eine schwere Anschuldigung gewesen, wenn man der Schamlosigkeit bezichtigt wurde. Ihre alten Instinkte sorgten dafür, dass sie sich für ihr unangemessenes Verhalten entschuldigen wollte, aber sie hatte ja nichts Schlimmes getan: Sie hatte nur versucht, den Schmerz einer trauernden Elfe zu lindern. Die Entschuldigung war sie eigentlich Devlin schuldig, dafür, dass sie sich überhaupt gezeigt hatte. Also schwieg Rae, die Hände sittsam gefaltet, den Blick gesenkt. Der Anschein von Anständigkeit erschien ihr als passende Antwort.
»Aber ich bin nicht sicher, wie ich dich töten soll. Das Fehlen eines Körpers, den man ausbluten könnte, kompliziert die ganze Angelegenheit.« Sorcha war ebenso gefühllos, wie Devlin den meisten Elfen erschien, so unnachgiebig, wie Logik sein sollte.
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